Reha - Motivation

Reha erste Rollstuhlübung Rückwärts

Rollstuhl Übungen

„Dies ist nun ihr eigener Rollstuhl. Sie können damit frei umherfahren“, sagten die Therapeuten. „Am besten bauen wir die Fußstützen gleich ab, damit Sie trainieren können, sich mit den Beinen vorwärts zu ziehen.“ 

Das war nun wirklich viel leichter gesagt als getan. Mir erschien es bereits unendlich schwer, ein Bein vom Boden überhaupt nur anzuheben. Dann musste ich es nach vorne setzen und anziehen, damit der Rollstuhl ein kleines Stück vorwärts fuhr. Bei den ersten Versuchen gelang es mir mit äußerster Anstrengung gerade einmal, das Zimmer zu durchqueren. Rückwärts war es leichter, denn dann konnte ich mich einfach abstoßen und meine Beine schlurfend nachziehen, ohne sie anheben zu müssen.

Der erste Ausflug aus dem Zimmer hinaus ging also im Rückwärtsgang. Recht schnell schaffte ich es mit dieser Technik, den halben Gang hinabzurollen, bis zum Stationsstützpunkt und auch retour, ebenfalls rückwärts. Nach einiger Zeit entwickelte ich ein recht gutes Geschick darin, im Rückwärtsgang die zahlreichen Hindernisse zu umfahren, Putzwägelchen, Essenstransporter, leere Betten und andere Patienten, die dort in ihrem Rollstuhl saßen. Ich schaute alle paar Sekunden nach hinten, merkte mir die Strecke und fuhr den dazu passenden Slalomkurs. 

Am Ende der Station befand sich ein Aufenthaltsraum für Patienten. Er hatte eine breite Fensterfront, durch die man einen weiten Blick über das Klinikgelände, den dahinter beginnenden Wald und die ersten Häuser des Dorfs hatte. An schönen Tagen schien die Sonne durch das meist offene Fenster hinein. Ich fuhr mit meinem Rollstuhl direkt vor das geöffnete Fenster, lehnte mich mit meinem Arm auf die Fensterbank und spürte die warme Sonne und die gute Luft. Ein wunderbarer Pausenplatz! 

Um die Mittagszeit wurden gewöhnlich einige Patienten von den Pflegern hereingefahren und bekamen dort ihr Mittagessen. Nach einer Weile kannte ich die Personen und ihre Eigenheiten, den ruhigen Herrn im Rollstuhl aus dem Nachbarflur, der stets alleine saß und die Frau am Tisch mit ihren Bekannten, die häufig da waren und ihr immer zuredeten, doch etwas mehr zu essen, was sie aber nie tat. Ich freute mich über die Abwechslung und blieb ungefähr fünf Minuten, dann startete ich zu einer neuen Runde. Die Besucher nickten freundlich und rückten ihre Stühle zur Seite, damit die Gasse breit genug wurde. Beim Verlassen des Raumes schaute ich auf die Wanduhr und merkte mir die angezeigte Zeit. Inzwischen gelang es mir schon, die ganze Station ohne Pause zu umrunden und ich versuchte, jedes Mal etwas flotter zu sein als zuvor.

Für die erste so gestoppte Runde brauchte ich knapp zehn Minuten. Damit hatte ich nun eine Richtzeit. Das nächste Mal wollte ich schneller sein und wartete mit dem Start, bis der Minutenzeiger gerade umgesprungen war. Ich kannte bald jedes Detail der Strecke und wusste, dass der Boden am Ende ein klein wenig abschüssig war. Von dort bis zur Tür, mit Linkskurve hindurch und dann wieder rechts zum Fenster, rollte es einfach und schnell. Es lohnte sich, den Endspurt vorher anzusetzen. 

Ich übte nun auch das Vorwärtsfahren. Es war viel anstrengender, trainierte aber andere Muskeln im Bein. Schließlich fuhr ich einen Rhythmus mit zwei Runden rückwärts, einer Runde vorwärts, und drei Runden im „klassischen“ Stil. Dazu setzte ich die Fußstützen wieder ein, stellte meine Beine darauf ab und bewegte den Rollstuhl durch das Drehen der Räder mit den Händen. 

Am Anfang bewirkte jeder Schub nur eine sehr kleine Vorwärtsbewegung, doch mit vielen solcher Ruckler kam ich schließlich auch über die Stationsrunde. Dabei schaute ich nicht nur auf die Zeit, sondern zählte die Zahl der Anschübe, die ich für eine Runde brauchte, 150 beim ersten Mal. Arme und Oberkörper wurden mit der Zeit immer stärker. Ich merkte, dass es besser war, mich seltener, aber dafür kräftig, abzustoßen und dann einfach rollen zu lassen. So ginges schneller und war weniger anstrengend. 

Schließlich schaffte ich die Runde mit 60 Schüben. 

Die schnellsten Rundenzeiten lagen jetzt unter zwei Minuten.

Motivation bei Reha durch Erinnerung an den New York Marathon

Marathon

Jeden Morgen um 9:30 Uhr öffnete sich die Tür und die Physiotherapeuten kamen herein. 

„Guten Morgen! Wie geht es Ihnen heute?“, sagte Juliane und ging auf mich zu. Sie streckte mir ihre Hand entgegen und forderte mich auf, so fest zu drücken, wie ich nur konnte. Sie wollte wissen, ob ich mit meiner Kraft ein bisschen weitergekommen war.

„Wir setzen Sie in ihren Rollstuhl um und wollen heute einmal schauen, wie es mit dem Stehen schon klappt!“

Ich freute mich wie ein kleines Kind und war gespannt. Stehen, endlich wieder stehen können! Doch wie sollte ich es nur schaffen, je in die Höhe zu kommen?

Die Therapeuten waren zu dritt gekommen. Sie brachten mich in den Rollstuhl und schoben ihn zu einer freien Stelle im Zimmer. „Wir fassen Sie jetzt unter den Armen und helfen Ihnen in die Höhe.“

Zwei Therapeuten stellten sich rechts und links neben den Rollstuhl und griffen in meine Achseln. Der dritte stand hinter dem Rollstuhl und hielt ihn fest. Dann das Kommando: „Auf los geht's los!“

Ein Ruck riss mich nach oben. Die Therapeuten hielten mich. In meinem Kopf explodierte eine Bombe. Der Puls raste wie verrückt, es musste mehr als 190 sein. Schweiß brach aus allen Poren. Mein Körper sendete ein einziges gigantisches Signal: Sofort aufhören! 

„Zurück!“, konnte ich gerade noch herauspressen. Die Therapeuten reagierten, Gott sei dank, sofort. Ich wurde wieder hinabgelassen.

„Das waren drei Sekunden.“ Der Therapeut hielt meinen Rollstuhl noch immer fest und hatte wohl die Uhr im Blick behalten. „Der erste Stehversuch. Immerhin.“

Die Therapiesitzung war zu Ende. Ich musste sofort wieder ins Bett und brauchte die Bettpfanne, damit mein Körper sich entleeren konnte.

Meine Gedanken wirbelten verzweifelt: Nicht nur Muskeln, Sehnen, Gelenke und Knochen, waren weg, auch Kopf, Kreislauf und innere Organe mussten in die Therapie. Wie lange sollte das Ganze nur dauern?



Bei einer unserer Therapiesitzungen redeten wir über das Laufen. Meine Therapeutin erzählte mir, dass auch sie gerne joggt. Jetzt musste ich ihr von meinen früheren Marathonläufen erzählen und kam ins Schwärmen. New York noch im November, mein Runnershigh in Brooklyn, der legendäre Einlauf im herbstbunten Central Park, die Anfeuerung der Zuschauer und die Tage danach im Flow. Und plötzlich war alles wieder da: Noch immer hatte mein Kopf New York als Film gespeichert!

„Im nächsten Jahr laufen wir zusammen den Karlsruher Halbmarathon!“ Sie lachte mich an.

Ich war begeistert.

 „Das machen wir!“, entfuhr es mir, „geben Sie mir Ihre Adresse, ich werde mich melden!“

Dann riss der Film, und schlagartig wurde mir bewusst: Die Therapeutin ist nett zu dir. Sie will dich aufmuntern, will dich ja nur trösten!

Die beglückenden Bilder waren verpufft. Mein Verstand holte mich in die bittere Realität zurück. Ich konnte fast nichts!


Und dennoch war in diesem Moment etwas Großes geschehen. Die Idee meiner Therapeutin und ein Funken Hoffnung hatten ein Glimmen in mir entzündet, das nicht mehr verlöschen sollte.

Reha Rollstuhl-Rennen Motivation

Rollstuhl Rennen

… Bei ihrem Besuch hatte ich Kathrin zum Auto begleitet, kannte die Strecke daher und wusste, dass ich den Anstieg schaffen würde. Ich arbeitete mich bis zum Scheitelpunkt, rollte einige Hundert Meter gemütlich bergab und erreichte nach etwa 800 Metern ein Thermalbad mit angeschlossenem Wirtsgarten. Danach wurde der Weg deutlich steiler, und ich war nicht sicher, ob ich den Rückweg schaffen würde. Zum Glück gab es vorher eine Abzweigung nach links, die nur sanft bergauf führte. Ich passierte Ein- und Mehrfamilienhäuser mit ihren Vorgärten und erreichte nach 600 Metern wieder einen Scheitelpunkt. Hier hatte ich einen weiten Blick über den Ort mit seinen Häusern und angrenzenden Wiesen und Feldern bis zum Schwarzwald.

Wegen der Ausfahrt einer Tiefgarage war der Weg an dieser Stelle etwas breiter. Hier konnte ich länger verweilen, ohne den gelegentlich vorbeikommenden Fußgängern im Weg zu stehen. Der Platz lag im Schatten eines großen Baums und war ideal für mich: Ich konnte Pause machen und mich erholen, die Glieder strecken und meinen Rücken beugen und dehnen. In den Therapiegruppen hatte ich genügend Übungen gelernt, die ich nun auch alleine wiederholen konnte. Hier machte es viel mehr Spaß, denn ich konnte mein eigenes Tempo wählen und die Zahl der Wiederholungen selber bestimmen, war zudem an der frischen Luft und hatte den herrlichen Blick. Nach 20 Minuten hatte ich meistens genug geübt, kehrte um und erreichte nach einer Dreiviertelstunde wieder die Klinik. 

Ich merkte schnell, dass ich viel leichter vorwärtskam, wenn ich eine ‚gute‘ Strecke fand. Der Gehweg hatte nämlich kleine Unebenheiten, war zuweilen nach links oder rechts geneigt und wurde immer wieder von Bordsteinabsenkungen durchsetzt. Für Fußgänger und Jogger war dergleichen unerheblich, nicht aber für mich, der ich in einem Rollstuhl saß: Wann immer es die kleinste Neigung gab, zog er zur Seite. Ich musste gegenlenken. Idealerweise gelang dies durch Schub an einem Rad allein. Oft aber musste ich zusätzlich an der Gegenseite bremsen. Das kostete Kraft und verlangsamte die Fahrt. Ich versuchte daher, neigungsfreie Passagen entlang des Weges zu finden und so zu fahren, dass der Rollstuhl zwischen den Schüben geradeaus und mittig weiterlief. Ich musste eine Spur finden, bei der beide Räder auf gleicher Höhe liefen. Bald kannte ich die optimale Strecke und versuchte, sie exakt zu treffen. Das aber war gar nicht so einfach. Schließlich konnte ich den Rollstuhl nicht mittels Lenkrad, sondern nur über die Balancierung meiner Schubkraft steuern. Ich wollte die Räder möglichst kräftig stoßen und ihnen Tempo geben, musste dabei aber die Armkraft links und rechts exakt dosieren, damit die Richtung passte. 

Ich passte auf wie ein Luchs, fokussierte meinen Blick auf den Kurs und versuchte, auch kleinste Ruckler vorherzusehen, und vorab schon mit flinken Bewegungen zu kompensieren. Ich stellte mir vor, bei einem Formel-Eins-Rennen im Qualifying zu fahren, permanent bestrebt den schnellsten Kurs und die besten Kurvenlinien zu finden. Am Anfang stand die Bequemlichkeit und mein Ziel, durch diese Technik Kraft zu sparen. Dann kam der Sport.


Ich wollte wissen, wie lang ich für die Strecke brauchte, jetzt natürlich ohne Pause und Rückenübungen. Im Foyer der Klinik hing eine große Uhr, ideal für die Zeitnahme. Von meiner ersten Temporunde kam ich nach 21 Minuten zurück und hatte damit eine Richtzeit: Mein Ehrgeiz war geweckt. Immer häufiger suchte ich nun die Herausforderung und fuhr die zweieinhalb Kilometer auf Zeit. Ich hatte meinen Spaß daran, die Strecke fahrtechnisch zu optimieren, wurde von Mal zu Mal schneller. Vielleicht, weil ich die Strecke immer besser kannte, vielleicht weil sich meine Fahrtechnik verbesserte, vielleicht weil meine Kräfte wuchsen. Wahrscheinlich spielte alles vorteilhaft zusammen.

Die schnellste Runde schaffte ich schließlich in 14 Minuten und errechnete eine Pace von 5 Minuten und 36 Sekunden pro Kilometer. Ziemlich exakt das Marathontempo von früher. Jetzt zwar auf Rädern, dafür immerhin mit Steigungen – gar nicht so schlecht!


Krankenhaus - Leben

Osteomyelitis Knochenentzündung entfernter Femurnagel das 35cm lange Titan - Implantat musste heraus

 Visite

Die besondere Bedeutung des heutigen Tages wird früh erkennbar: große Visite! Mein Pflaster ist entfernt und provisorisch mit einem sterilen grünen Tuch abgedeckt, das benutzte Handtuch von der Stuhllehne verschwunden, die Kleidung in den Schrank gehängt. Das Bettzeug war gestern schon gewechselt worden. 

Der Chefarzt selbst, so hatte ich erfahren, würde kommen. Ich freute mich auf die neue Perspektive und hoffte im Dunkel meiner Fragen auf Licht, am wichtigsten: Wann darf ich gehen?

Schritte, gedämpftes Sprechen vor der Tür. Eine Frau lacht, ein Wagen rollt über den Linoleumboden. Die Tür springt auf und gibt der Gruppe Einlass. Die Krankenschwester vom Frühdienst, die Leiterin der Pflegestation, mein Physiotherapeut, der Stationsarzt, eine Ärztin, der ich bei der Aufnahme bereits begegnet war und ganz am Schluss eine sehr junge Frau im gleichen Weiß wie die Kollegen: eine Praktikantin? Dem Tross voraus aber eilt ein älterer und dennoch sehr forscher Mann in Weiß. Er lenkt seine Schritte an mein Bett, blickt auf das Namensschild, und schaut mich an. Der Chef?

„Herr Diedrich, guten Morgen!“

Er wendet sich zu seiner Linken. „Wie geht es unserem Patienten?“

„Herr Diedrich kam zu uns mit Milzabzess nach traumatischer Milzruptur, die zunächst konservativ behandelt wurde. Nach protrahiertem Verlauf wurde Herr Diedrich in die Reha verlegt, vor zehn Tagen aber mit Fieber und hohen Infektparametern wieder vorgestellt. Als Ursache fand sich im CT des Abdomen ein organisiertes Milzhämatom ohne Möglichkeit einer interventionellen Drainage. Vor einer Woche laparoskopische Ausräumung von Abzess und Hämatom unter Milzerhalt. Es kam zu keinen größeren Blutungen oder Verletzungen von vitalem Milzgewebe.“

„Sehr gut“, der Chef scheint zufrieden. „Ist er mobil?“

Er wendet sich zum Physiotherapeuten.

„Wir konnten zusammen in den MTT Raum gehen und dort an Mobilität und Kräftigung arbeiten. Gluteus Maximus, Rückenmuskulatur, Kardiotraining auf dem Ergometer, gestern bis hundert Watt.“

„Ausgezeichnet!“, der Chefarzt ist hoch erfreut. „Medikamente?“

Die Leiterin der Pflegestation blättert in einer Mappe.

„Pantozol morgens und abends, dreimal Ibu 600, Eubiol morgens, Metohexal 47,5 Milligramm morgens und abends je eine halbe, Remergil 15 nachts, Vitamin B komplex dreimal und Ferrosanol duo morgens.“

„Irgendwelche Komplikationen?“

„Der postoperative Verlauf ist unauffällig, die Wunde reizlos.“

Der Chef schaut zur Schwester, die schüttelt ihren Kopf.

„Dann scheint ja alles in Butter zu sein!“, lacht er und wendet sich zu meinem Zimmernachbarn.

Ich räuspere mich. „Darf ich Ihnen auch eine Frage stellen?“

Der Chef dreht sich noch einmal um. Ich darf.

„Ist das Milzthema endgültig ausgestanden? Wann werde ich entlassen?“

Erst trifft sein Blick mich, überrascht, dann die Kollegin, fragend. Die fischt in den Patientenmappen, blättert und findet schließlich das Gesuchte:

„Die beiden Robinsondrainagen wurden gestern gezogen, Blutwerte weitgehend unauffällig, CRP erwartungsgemäß noch hoch. Ich denke, wir können Herrn Diedrich in zwei bis drei Tagen zurück in die Reha überstellen.“

„Na,“, jetzt lacht der Chef mich an, „das ist doch eine gute Nachricht! Trainieren Sie weiter fleißig und alles Gute!“ 

Dann ist er endgültig beim Nachbarn. 

Batterie von Spritzenpumpen Intensivstation

 Mut zum Leben 

... Mit einem Knall öffnete sich die Tür und der Stationsarzt stürzte herein, begleitet von zwei Pflegern.

„Herr Rosendorf, wir verlegen Sie in die Intensivstation!“ Der Arzt war sehr erregt: „Wir müssen Ihnen vorher noch eine Kanüle legen.“ 

Hektisch versuchte der Arzt, die Nadel zu platzieren, doch die Venen waren schlecht und rollten immer wieder zur Seite, bis endlich doch ein Einstich gelang. Ein Pfleger brachte einen Monitor herein, befestigte Elektroden am Körper von Herrn Rosendorf und verband sie mit dem Gerät. Jetzt wurde jeder Herzschlag von einem Piepton begleitet. Der Pfleger legte den Monitor ans Fußende des Betts.

„Haben wir alles?“, fragte der Arzt. Der Pfleger nickte. „Dann los.“

Sie verschwanden mit schnellen Schritten, der Arzt und der Pfleger, zusammen mit dem Bett. Darin Herr Rosendorf, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte. Einige Momente hörte ich noch das sich entfernende regelmäßige Piepsen des Monitors, dann war es ruhig.

Nun also war Herr Rosendorf auf der Intensivstation. Ich wusste, wie hart das Leben dort ist, hatte es schließlich selbst lange genug erlebt. Wie mochte es mit ihm weitergehen? Warum überhaupt wurde er jetzt plötzlich auf die Intensivstation verlegt, wo doch all die Tage zuvor stets nur von einem Pflegeheim die Rede war? Was war passiert?

Ich rekapitulierte: Ein selbstständiger alter Herr war zu Hause gestürzt und wurde von seiner Lebensgefährtin ins Krankenhaus gebracht. Man fand keine ernsthaften Verletzungen und nahm ihn dennoch auf. Es gab nichts zu behandeln, außer vielleicht den Schmerzen. Doch das lehnte er ab. Er verfiel rapide.

Innerhalb von einer Woche war er zu einem Fall für die Intensivstation geworden.

Würde er das Krankenhaus wieder lebend verlassen können? Und wenn, dann als Pflegefall? 

Welche Krankheit, welches Leiden hatte all dieses verursacht?

Fehlte die Unterstützung? Nein, die gab es doch, die Therapeuten mit ihren Hilfsangeboten, die Schwestern mit ihren Hinweisen, die Medikamente. Warum nahm Herr Rosendorf sie nicht an? Durchschaute er die Zusammenhänge nicht, konnte er sich nicht entscheiden? Hatte er nicht bemerkt, dass die Hauptverantwortung für eine Verbesserung seines Gesundheitszustands bei einem ganz besonderen Menschen lag, nämlich ihm selbst? Oder fehlte ihm der Mut zum Leben?

Ich dachte lange nach, erkannte schließlich: Du musst gute Freunde haben, auf die du dich verlassen kannst und offen sein für Rat. Die wirklich wichtigen Schritte musst du am Ende aber immer selbst gehen. Und anstrengen musst du dich und mitmachen, wenigstens!

 

Von Herrn Rosendorf habe ich nie wieder etwas gehört.

Gehversuche auf Krücken mit Rollstuhlbegleitung zur Sicherheit

Motivation

Ich hatte meine Krücken dabei, war aber noch nie ohne Begleitung damit gegangen. Meine Therapeutin hatte mir gezeigt, wie ich die Krücken in einer Hand halten musste, um mich mit deren Hilfe und der anderen Hand auf einer Stuhllehne abstützend selber aufzurichten. Mein Entlassbrief hatte bescheinigt, ich könne „… mit Unterarmgehstützen einige Schritte gehen, wenn auch unsicher“. 

Warum also sollte ich nicht wenigstens versuchen, ein paar Schritte allein zu gehen? Sehr langsam und vorsichtig, und bloß nicht stürzen! 

Beim nächsten Besuch der Krankenschwester ließ ich mir die Krücken ans Bett stellen. Ich konnte das motorisch verstellbare Kopfteil des Betts steil aufrichten und aus dieser Position zum Sitzen auf die Bettkante kommen. Dort rutschte ich nach rechts, bis ich mit meiner Hand das Geländer des Betts am Fußteil erreichen konnte, nahm eine Krücke in die andere, die linke, Hand, und stützte mich darauf. Jetzt drückte ich mich mit beiden Armen in die Höhe, rechts auf dem Bettgeländer und links auf meiner Krücke und schaffte es schließlich auf diese Weise in den Stand. Nun konnte ich mit der rechten Hand die zweite Krücke nehmen und erste Schritte wagen. Schön vorsichtig, Schritt für Schritt – und bloß nicht stürzen!

Der erste Ausflug führte mich aus dem Zimmer hinaus, ein paar Schritte den Gang hinab und wieder zurück. Immerhin, das ging. Was einmal klappt, das klappt auch mehrmals! Ich versuchte es nach einer kleinen Pause gleich noch einmal. Damit sollte es genug sein. Ich ging zurück ins Bett und war erschöpft, aber zufrieden.

Ich war froh, nicht gänzlich zur Untätigkeit verurteilt zu sein und machte ab jetzt diese Gehübungen mehrmals am Tag. Dabei versuchte ich, jeden Tag ein Stückchen weiter zu kommen, und schaffte es schließlich bis zum Ende des 50 Meter langen Gangs durch die Station und wieder zurück. Dann nahm ich mir vor, mindestens eine Viertelstunde am Stück zu gehen, und zählte die Strecke: Dreimal die Station hinunter und retour, das waren 150 Meter. Mehr, als ich je in der Reha geschafft hatte!